Ich höre seit meiner Kindheit die Platten bzw. von Reinhard Mey und bin immer wieder, nun seit über 40 Jahren, begeistert von seinen treffenden Texten. Kürzlich habe ich mir sein 29. Studioalbum gekauft und es schon mehrfach gehört. Eine Liedzeile hat mich besonders angesprochen: „Wir müssen ja nicht gleich sein, nein, wir müssen uns nur kennen. Wir sind doch nicht nur eins, wenn wir auch einer Meinung sind.“ (aus dem Lied: Zwischen Kontrollpunkt Drewitz und der Brücke von Dreilinden von Reinhard Mey)
Es geht darin um das Miteinander zwischen Ost und West, doch kam mir die Erinnerung an einen Ausspruch von Michael Herbst, der das gleiche ausdrückt: „Muss uns trennen, was uns unterscheidet?“
Mich fordern solche Aussagen immer wieder neu heraus. Ich merke, dass ich mich wohler fühle, wenn ich mich mit Menschen gleicher Ansichten und Interessen umgebe. Ein wenig Diskutieren macht ja Spaß, aber konträre Meinungen können zu Streitgesprächen und Verletzungen führen. Das vermeide ich, eher unbewusst, und vermutlich andere auch, denn sowohl bei der Arbeit wie im gemeindlichen Kontext gibt es schnell Cliquenbildung. So lebt jede und jeder in seiner Bubble und wird – nicht zuletzt auch durch den Algorithmus bei der Nutzung des Internets mit allen seinen Möglichkeiten – in den eigenen Überzeugungen noch bestärkt. Wie schnell können dann Gräben zwischen Menschen und Gruppen entstehen.
Paulus fordert die Gemeinde in Ephesus auf (Epheser 4,2+3 Gute Nachricht Bibel): „Erhebt euch nicht über andere, sondern seid immer freundlich. Habt Geduld und sucht in Liebe miteinander auszukommen. Bemüht euch darum, die Einheit zu bewahren, die der Geist Gottes euch geschenkt hat. Der Frieden, der von Gott kommt, soll euch alle miteinander verbinden!“
Anschließend betont er, was uns miteinander verbindet (Epheser 4,4-6 Luther Bibel): „ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.“ Und damit dieses Miteinander, dieses eins-Sein, erst möglich macht.
Ja, sich zu kennen, den und die andere mit seinen und ihren Ansichten zu verstehen, weil ich verstehe, wie diese Meinungsbildung in der persönlichen Geschichte meines Gegenübers zusammenhängt, hilft sicher. Das wünscht sich auch der Liedermacher.
Doch in Kirche und Gemeinde soll es andersherum funktionieren: wir sind bereits eins, weil wir einen Glauben haben, an denselben dreieinen Gott. Deshalb dürfen wir unsere Blasen aufgeben und aufeinander zugehen, uns besser kennen- und verstehen lernen, so dass uns unsere Unterschiedlichkeit nicht trennt. Weder theologische Überzeugungen noch Persönlichkeit, und auf keinen Fall Herkunft, Geschlecht und Nationalität.
Ein Traum? Eine Utopie? Ich möchte heute damit anfangen und auf eine Person zugehen, die ich nicht gut kenne oder nicht verstehe!
Anke Weiß (Mitglied im Arbeitskreis Frauen)