Neulich habe ich zum ersten Mal gehört, welche Bedeutung es wohl hat, dass Jesus sein Schweißtuch bei seiner Auferstehung im Grab zurückgelassen hat – und zwar nicht zusammen mit den anderen Grabtüchern, sondern zusammengefaltet an einem anderen Ort (Johannes 20,7): Ein Rabbi hat damals nämlich immer sein Tuch bei sich gehabt. Wenn er wegmusste, hat er das Tuch dagelassen als Zeichen dafür, dass er bald wiederkommt. Wie ein Schild „Bin gleich wieder da“ im Schaufenster. Jesus sagt also: Ich komme wieder, ich bin noch nicht fertig…
Da ist mir mal wieder bewusst geworden, wie fremd und weit entfernt – zeitlich, geografisch, kulturell – die Bibel von unserem Alltag zu sein scheint. Wir brauchen manchmal „Übersetzungshilfen“, um bestimmte Verhaltensweisen oder Details richtig einordnen zu können. Ob es Gott andersherum genau so geht? Versteht der Gott der Bibel wirklich, wie unser Alltag funktioniert – mit Smartphones, künstlicher Intelligenz, sozialen Medien, unserer Mobilität, aktuellen gesellschaftlichen und weltpolitischen Entwicklungen? Ständig gibt es etwas Neues – wie soll uns da ein Buch Orientierung geben, das uralt ist und für das es schon lange kein Update mehr gab?
Hier lohnt ein Blick auf das, was wirklich hinter den Themen steckt, die uns bewegen: Es geht eigentlich um Anerkennung, Zugehörigkeit, Macht, Angst, Hoffnung, Freiheit, menschliche Beziehungen und Konflikte – all das sind Themen, die auch die Bibel schon kannte. Krieg und Frieden, Mächtige und Wehrlose, Arme und Reiche, Flucht vor lebensfeindlichen Bedingungen, Fragen der gesellschaftlichen Gerechtigkeit, Streit um das, was man jetzt tun müsste – all das gab es doch schon immer.
Im Buch Prediger wird das so ausgedrückt:
Was früher geschehen ist, wird wieder geschehen; was man früher getan hat, wird man wieder tun: Es gibt nichts Neues unter der Sonne!
Zwar sagt man ab und zu: »So etwas ist noch nie da gewesen!«, aber auch dies hat es schon einmal gegeben, in längst vergangenen Zeiten!
(Prediger 1, 9-10; Hoffnung für alle)
Im Zusammenhang betrachtet geht es hier eher um ein resigniertes „Alles ist vergebliche Mühe, weil sich ja doch nichts ändert“, für mich haben diese Verse aber gerade in unseren bewegten Zeiten auch etwas ungemein Beruhigendes. Nichts, was in dieser Welt und unserer Gesellschaft geschieht, kann Gott wirklich überraschen, er hat mit seinen Menschen schon so viel erlebt…
Er ist und bleibt immer derselbe – und auch wir Menschen haben uns im Wesentlichen nicht verändert, auch wenn wir heute viele neue technologische Möglichkeiten haben, so werden wir doch immer noch von denselben Motiven, Hoffnungen, Befürchtungen und Sehnsüchten angetrieben wie die Menschen, von denen wir in der Bibel lesen. Und das bedeutet, dass Gott uns heute noch genauso versteht und kennt wie damals. Das gibt mir Gelassenheit und die Gewissheit, dass die Entfernung zwischen Gott und seinen Menschen nicht gewachsen ist, sondern er heute noch genauso in seinen Menschen lebt und wirkt, wie er es seit Jahrtausenden tut – er, der da war und der da ist und der da kommt.
Kristina Dinger (Mitglied im Arbeitskreis Frauen)